Letzter Termin

letzte Termine

© Matthias Mala

Als man ihr vor der Aussegnungshalle kondolierte, sprach sie vom sonnigen Wetter und von dem nahen Ententeich mit den blühenden Seerosen. Sie war zwar in Schwarz, doch sie war kaum in Trauer. Nur ab und an, wenn ein besonders mitfühlendes Trostwort, ihr den traurigen Anlass wieder vergegenwärtigte, weinte sie still. Doch schon beim nächsten Blickwechsel, fiel ihr Schmerz sommerlichter Vergessenheit anheim. Sie ging am Arm des Neffen, plauderte mit ihm über Vergangenes. Der Tod ihres Mannes war nur ein flüchtiger Schatten vor den noch hellen Erinnerungen. Er blieb ein unbemerktes Ereignis in haltloser Gegenwart.

Die Freundin kam aus der Aufbahrungshalle, ging auf die Witwe zu, sprach ohne Umwege von dem Auto, dass man ihr nun überlassen könne. Hatte sie auch zuvor Beileidsworte geflüstert, waren sie bereits bedeutungslos, weil dort verheuchelt und da vergessen. Nein, erwiderte die Witwe in täuschender Präsenz, das sei nun doch der unpassende Moment. Später, ein anderes Mal. Als sei der Wagen schon ihrer, verklärte sich der Blick der Freundin, und verschwörerisch riet sie: Hör nicht auf, Joachim, er tut dir nur schön und redet hinter deinem Rücken schlecht. Er will dich nur betrügen. Mit leeren Augen folgte die Witwe der Richtung, in die die andere deutete.

Sie sah den verblassten Charmeur, der sie schon eine Weile wie ein Planet umkreiste, erst, als er direkt auf sie zukam. Dabei kreuzte er den Weg der Freundin und beide fauchten sich im Vorübergehen wie zwei Kater an, die einander das Revier streitig machten. Liebdienernd stand er vor der Witwe, sprach mit eleganten Schlenkern von dem Schmerz, den er mit ihr fühlte, warnte wie beiläufig: Hören Sie nicht auf diese Frau, sie ist so böse. Warten Sie bis ich bei Ihnen vorbeikomme, dann können wir alles regeln. Die Witwe verstand weder sein Mitleid noch seine Warnung, sie stand in der Sonne, am Arm eines Lieben. Es waren so viele Blumen um sie und die Enten gründelten im nahen Teich. Es war ein so schöner Tag. Ihr gefielen dazu die süßen Worte, des Erbschleichers und sie lächelte, nickte und meinte, ja wir sprechen uns später. Sein Gesicht verklärte sich ebenso, wie das der Freundin zuvor. Er trat zurück, um einem anderen Trauergast Gelegenheit für dessen Beileidsbekundung zu geben und lauerte in sicherer Entfernung.

Kaum stand er im Hintergrund, eilte von der Seite die gute Freundin wieder herbei, flüsterte Böses über Joachim und säuselte Dank für die gewährte Güte, als besäße sie schon, was sie begehrte. Gleichzeitig positionierte der sich im Rücken der Witwe und stob herbei wie ein Geier auf ein Stück frisches Aas, kaum dass sich die Freundin wieder abwandte.

In dieser Weise wechselten sie einander ab, umtanzten die Witwe vor der Aussegnungsfeier und danach, als man wieder in der Sonne stand. Sie schlichen um sie herum, schnurrend und maunzend und sich gegenseitig anfauchend. Ließen sich auch vom Unmut des Neffen nicht abhalten. Doch ihr ganzes Werben war für die Katz, blieb nur ein Geräusch in vorbeirauschender Gegenwart. Die Witwe lachte, weil sie ein Satz an eine lustige Geschichte erinnerte, die sie erzählen wollte, doch als ihr Lachen verklang, hatte sie Satz wie Geschichte bereits vergessen.

Verloren sah sie auf den Teich, der Wind zeichnete feine Kräusel übers Wasser.

Eine Begebenheit, die ich beobachten konnte, während ich mit anderen Trauergästen zusammenstand, unter denen andere Spannungen herrschten und unausgesprochene Fehden ausgetragen wurden. Im Grunde war diese Trauerfeier ein echtes Trauerspiel. Ein Aufzug des alltäglichen Elends kleiner Gemeinheiten, gespeist von endlosen Lügengeschichten, mieser Gier und peinlichem Neid, jahrzehntealter Verletzungen und böser Schweigsamkeit – eben ein Abklatsch der ganz normalen Niedertracht, mit der wir unser Leben vergällen. Ja, wir sind so schamlos und lassen uns auch von besonderen Anlässen nicht davon abhalten, unsere obszöne Gewöhnlichkeit darzustellen. Ja, es war eine traurige, weil vor allem trostlose Veranstaltung. Über den Toten sprach niemand. Die Pfarrerin, die ihn nicht kannte, aber in deren Sprengel er gelebt hatte, tat ihre Pflicht. Sie sprach aus, was ihr zuvor über ihn gesagt wurde.

Erst später als man bei Kaffee und Kuchen zur Leich zusammenkam, fand man Worte über ihn und über die eigenen Leiden, die dem seinen, das ihn dahinraffte gottlob nicht ähnlich waren. Die Erbschleicher waren da schon verschwunden, denn die Witwe war bereits ins Pflegeheim zurückgefahren worden. – So fand ein gewöhnliches Leben seinen gewöhnlichen Abschluss.

Braucht so ein Leben eine Reinkarnation? Ein jüngstes Gericht? Ein Fegefeuer? Ein Bardo? Oder gar eine fleischliche Auferstehung samt Paradies? Ich denke, nein. Da hat ein Mensch seinen Frieden vor den alltäglichen Misslichkeiten gefunden und seine Krankheit bis zum Ende durchstanden. Schade nur, dass er sich an diesem Frieden nicht mehr erfreuen konnte. Oder vielleicht doch? Für einen Augenblick, irgendwann in seinem Leben hatte er ihn gespürt, geatmet und gesehen? Einen stillen Augenblick lang war er womöglich im Frieden mit sich und der Welt; war Licht im Licht. Und falls es so war, hatte sein Leben einen Sinn gehabt und seine Bestimmung erfüllt …

2 Kommentare zu “Letzter Termin

  1. Warum sollte so ein Leben keine Reinkarnation, Fegefeuer, Bardo, sonstige eschatologische Visionen „brauchen“? (Verdienen finde ich da besser als „brauchen“)
    Zeit und Raum ist relativ, es gibt keinen Stichtag, an dem abgerechnet wird. Das ganze Leben zählt. Vergessen wir alle.
    Und wenn es nicht das totale Ende ist, dann „braucht“ es einen „Zwischenbericht“, bevor es weitergeht, wohin auch immer.
    Was er sicher nicht braucht, ist so eine Terminierungsfeier.

  2. Na also nach meinem Tod werde ich wieder in sämtliche Bestandteile zerlegt die Mutter Natur so auf Lager hat. Mehr braucht’s da auch nicht. Das Weiterleben nach dem Tod findet für mich in einem Schneeglöckchen statt. Oder in einer Brennesel. Oder in einem Grashalm und danach dann in einem Kuhmagen. Aber – soviel Zeit muss sein – ich will ordentlich wiedergekäut werden!

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