Ewigkeitssonntag

Der Totensonntag war der Totengedenktag der evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). War? Ja, denn seit einiger Zeit predigen deren Pfarrer vom Ewigkeitssonntag. Ich hörte davon dieses Jahr zum ersten Mal in einer Radiopredigt. Seit wann der Ewigkeitssonntag in der EKD den Totensonntag verdrängt, ist nicht auszumachen. 1999 wurde er wohl in der reformierten Kirche um- oder beigenannt. Jedenfalls irritierte mich dieser Schönsprech. Denn er ist ein Moment mehr, den Tod aus unserem Leben zu verdrängen. Wer das aber will, missachtet das Leben, denn der Tod ist ein zwingender Teil davon. Ohne Tod gibt es kein Leben. Alles Leben endet im Tod und nicht in der Ewigkeit. Schließlich ist es unlogisch, eine Ewigkeit zu behaupten, die einen Anfang hat. Ewigkeit zeichnet sich durch ihre Zeitlosigkeit aus, und die hat keinen Anfang und kein Ende. So wie der ewige Gott, der selbiges von sich behauptet. – Jedenfalls folgt er der Logik, was übrigens Papst Benedikt in seiner Regensburger Rede am 12. September 2006 (Link) hervorhob: „Nicht ‚mit dem Logos‘ handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“

Nun, der EKD ist die Vernunft und insbesondere die göttliche Vernunft ja schon länger abhandengekommen, weswegen sie sich der Beliebigkeit anheim gibt und zur Wohlfühlgemeinschaft verkommen ist. Die Gesellschaft dankt’s. Tot und Sterben findet nur noch in Unterhaltungsfilmen und Nachrichten statt, die gleichfalls mit ihren Splatterbildern längst Unterhaltung oder gar nur noch Haltung hingegen selten Informationsquelle sind. So ist es möglich, dass heute betagte Menschen sterben, die ihrer Lebtag keinen Toten von Angesicht zu Leichengesicht gesehen hatten.

Einst, als ich ein Lauser war, hatten wir Kinder selbstverständlich ein Grausen vor dem Tod. Folglich zog es uns immer wieder einmal auf den Friedhof, um uns in der Aussegnungshalle einen Toten anzuschauen und damit zugleich einen hilflosen Versuch zu unternehmen, den Tod zu verstehen. Später als Bursche war’s eine mir selbst gestellte Mutprobe, mich nachts auf den Friedhof zu schleichen und einem Toten ins Antlitz zu sehen, das nur von den Kerzen am Sarg erhellt worden war. Heute ist das fast zur Unmöglichkeit geworden, denn höchst selten findet man in einer Leichenhalle noch einen Sarg, der nicht gedeckelt ist. Als könnte man so, den Tod aus dem Leben verbannen.

Soviel zum Tod. Zum Schönsprech könnte ich mich auch noch auslassen, doch dabei würde mir nur die Leber schwellen und der Magen schwären und sich mein Brägen verdrehen, also lass ich es lieber. Dummheit, Schönsprech und politische Korrektheit in drei Teufelsnamen verreckt, verrottet, und niemand soll danach noch sehen, wie euch die Leichenflecken zu Gesicht standen.

Somit geht’s jetzt in die nächste Runde verlogener Bräuche, der Advent steht an und damit vier Wochen lang Weihnachtsmusik in jedem Fahrstuhl, Auto und so weiter bis uns die Covid-Maske um die Ohren fliegt und für einen kurzen Augenblick Totenstille einkehrt.

Totengedenken

Ahnenwehen © Matthias Mala

Ahnenwehen © Matthias Mala

Kein Novembergrau verschleiert diesen Totengedenktag, lässt ihn nicht ins Diffuse gleiten, in das keltische Seelenwehen, das mit Gänsebraten gefeiert, die Ahnen an den Tisch bittet. Nur ein kurzes Verweilen, um einander zu versöhnen, ehe man sich scheidet und ein jeder in seiner Anderwelt fortlebt. So bleibt man den Toten nah und fern; bleibt von ihnen verschont und mag sein Leben leben, wie es das Dasein und nicht das Jenseits fordert.

Ein schönes Nebeneinander, das sich in dieser Nichtzeit, der Novemberei, verwischt. Dann tauchen die Seelennebel vom Himmel herab und aus der Erde hinauf und verhauchen und verlangsamen alle Wirklichkeit. Selbst die Raser auf den Autobahnen drosseln Nebelschwaden, und wer das nicht wahrhaben möchte, der wird geschrottet oder gar weggesenst. Weiterlesen