Herbsthaikus

Ein Haiku ist eine dichterische Skizze oder ein Moment der Natur in drei Zeilen. Die beiden ersten Zeilen geben eine Anmutung oder einen Ablauf der Natur wieder. Die letzte Zeile ist eine Konklusion, die jedoch offen bleibt, und somit den Gedanken über sich hinaus schwingen lässt. Das klassische Haiku besteht im Japanischen aus 17 Moren. Da dieses Versmaß nicht ohne weiteres auf andere Sprachen übertragen werden kann, spricht man im allgemeinen von 17 Silben. Fünf Silben bilden die erste und letzte Zeile, sieben Silben die Mittelzeile. Diese Regel gilt heute etlichen Autoren als obsolet. Ich folge dieser Auffassung nicht, sondern empfinde ihn als künstlerische Herausforderung, weswegen ich Haikus und seine Abarten wie Senryūs ausschließlich in klassischer Form verfasse.

Nachstehend präsentiere ich Ihnen 17 Haikus zum Herbst. Haben Sie Freude in dieser stiller werdenden und heimeligen Zeit.

Zum Sommerabend
Steigt der Herbst aus den Wiesen
Kraftlos die Alten.

Ein Blatt weht Herbstgold
Vom Ast ins offene Buch,
Lenz umweht mein Kind.

Rote Pfefferfrucht
Flammt im Farbspiel der Herbsttracht
Besonnen und scharf.

Verzaubertes Laub
Reigen mit dem Sonnenschein
Schönheit zum Weinen.

Störche sammeln sich
Zum Vogelzug gen Süden
Der Sommer neigt sich.

Laue Herbstsonne
Leises Trommeln im Hohlweg
Kastanienfall.

Späte Blüte? Nein!
Nur pure Lust am Leben.
Farbe, Duft, Bienen.

Kaum sind die Störche
Fort, sammeln sich die Schwalben
Zum Flug gen Süden.

Verfärbt sich das Laub
Finden sich Schwalben zum Schwarm
Gleich dunklen Wolken.

Der Nebel schwindet
Unter der Mittagssonne
Leuchtet bunter Herbst.

Trudelndes Laubblatt
Ein Falter taumelt im Glück
Marienkäfer.

Ein milder Herbsttag
Die Leute auf der Wiese
Blicken aufs Smartphone.

Geister heulen durch
den Wald, speien welkes Laub
Herbststurm fegt das Land.

Herbstgold schrägt durchs Land
Hebt Seelen aus den Gräbern
Nebel steigen auf.

Der Haufen Laub riecht
Nach Johannisbrot und Zimt
Schlafplatz für Igel.

Der alte Baum knarzt
Derweil ihn der Sturm entlaubt
Schon fällt er ins Moos.

Vorbei das Herbstgold
Leben von Knospen umhüllt
Verharrt still im Tod.

Ostern als Paradoxon – Eine antipodische Betrachtung

Osterkücken

Osterkücken © Matthias Mala

Ostern feiern wir die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Wohl gewählt fällt dieses Fest auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Der scheinbare Stillstand des Winters ist gebrochen, die Natur erwacht mit frischer Blüte. Der Kreislauf des Lebens beginnt, sich sichtbar fortzusetzen. Ostern ist demgemäß ein Sinnbild von Wiedergeburt und Überwindung des Todes. In diesem Verständnis wurde es von jeher gefeiert, auch lange bevor das Christentum entstand. Schließlich erfasste man von Anbeginn aller Religionen den Jahreskreis als ein göttliches Geschehen, das es zu deuten galt, um mit den himmlischen Mächten ins Zwiegespräch treten zu können. Dies war und ist rund um den Globus so. So feiern beispielsweise die Maoris ihr Neujahrsfest „Matariki“ wie wir auch mitten Winter, nur mit dem Unterschied, dass bei ihnen der Winter Einzug hält, wenn bei uns der Sommer beginnt. Weiterlesen

Reduktion

November

November © Matthias Mala

Am Barbaratag sah ich bei einem Besuch auf der Frauenwörth, noch ein Beet Lauch in einem Garten stehen. Bis spät in den November hinein wurden allerorten die letzten Ernten eingebracht: Nüsse, Kohl, Kürbis, Schwarzwurzeln und so manches harrt – wie gesehen – immer noch darauf. Später noch, nach dem ersten Frost, kommen Grünkohl, Hagebutten und Schlehen in den Korb. Noch viel später im Januar wird der Eiswein gelesen. Derlei Einbringen ist ein langsames Enden; obwohl man bei genauer Betrachtung neben dem Rückzug des Lebens auch Fortbestand und Blüte entdecken kann. So weicht das Grün nicht überall. Die Wiesen und die niedere Frucht des Winterweizens widerstehen dem Frost, und Winterblüher wie Erika, Christrose oder Winterjasmin öffnen ihre Blüten. Mag sich darüber auch die Schneedecke wie ein weißes Leichentuch legen und vom allgemeinen Stillstand künden, unter ihm pulsiert weiterhin die gewaltige Kraft des Lebens. Es atmet nur aus, verharrt kraftschöpfend für eine kurze Weile, um schließlich im Frühjahr rauschend zu erwachen. Somit bleibt der winterliche Niedergang, der Tod, nur ein Wandler. Das Leben endet, um wiederbelebt neues Leben zu stiften. Es weicht, um sich selbst bebrütend neu zu gebären. Durch den Tod geht das Leben mit sich schwanger. Weiterlesen