Covidiotie

Schlaganfall ©M. Mala

Ich bin ein Covidiot, jedenfalls in den Augen der Selbstgerechten, der Erwachten – der Woken, so nennt man sie gerade, ich nenne sie lieber Ann-Kathrin, wie die guten Menschen halt so heißen. Doch egal, offensichtlich hatte ich eine politisch inkorrekte Erkrankung, als ich am 17. Januar in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Corona-Nachimpfung einen Schlaganfall erlitt. Er begann mit einer kaleidoskopartigen Verzerrung meiner Optik und mit einem einhergehenden heftigen Schwindel, begleitet von dem Gefühl, als hätte ich einen Krampf in meinem Oberstübchen. Da ich einen gleichartigen „Hirnkrampf“ schon zwei Wochen zuvor hatte, der Schwindel aber nach etwa zehn Minuten wieder abklang, verharrte ich zunächst in der Hoffnung, es ginge auch diesmal vorüber. Doch diesmal wollte nichts abklingen, vielmehr war der Schwindel samt Fallneigung nach links so stark, dass ich mich an der Wand entlangtasten musste, um nicht zu stürzen. So ergab ich mich dem Schicksal und sagte zu meiner Frau: „Schatzi, ich glaub, ich hab ‘nen Schlaganfall“, und beschrieb ihr kurz die Symptome; worauf sie sofort die Rettung anrief: „Mein Mann hat einen Schlaganfall!“. Es war 20:30 Uhr.

Wenige Minuten darauf waren die Sanitäter schon da und ebenso kurz darauf, hatten sie einen freien Platz in der nächsten „Stroke Unit“, zu deutsch „Schlag-Einheit“ gefunden. Eine viertel Stunde später, robbte ich bereits von der Trage auf die Pritsche des CT. Der Röntgenologe sah im Kleinhirn einen Verdacht auf Schlaganfall, der per MRT noch präziser visualisiert wurde. Daraufhin stand fest, ich hatte einen Schlaganfall erlitten. Die Ärzte begannen sofort mit der Therapie, indem man mir per Perfuser Lyse – ein Medikament zur Auflösung von Blutgerinnseln – verabreichte. Gegen elf Uhr wurde ich auf die Wachstation geschoben und verblieb danach für 72 Stunden in der Schlageinheit. Bis auf ein leichtes Taubheitsgefühl an der linken Wange überstand ich den Schlaganfall folgenlos.

Irritierend empfand ich freilich den Teil der Diagnostik, in dem mir mehrere zurückliegende Schlaganfälle, also wenigsten mehr als zwei, attestiert wurden. Meine Irritation verstärkte sich, als ich vom Mitpatienten im Zimmer, auf das ich verlegt wurde, erfuhr, dass er vierzehn Tage vor seinem Schlaganfall mit BioNTech geboostert worden war. Er war ein vierzigjähriger Mann, der zwei Jahre zuvor einen Gesundheitscheck ohne Auffälligkeiten durchlaufen hatte. Jetzt lag er mit konstantem Bluthochdruck von über 200, einer Hirnblutung und zwei Schlaganfällen im Krankenhaus. Seine Andeutung, ob es eine Korrelation zwischen Nachimpfung und Schlaganfall geben könnte, wurde von den Ärzten kategorisch verneint. Es war ein politisch inkorrekter Gedanke.

Drei Tage später auf der Heimfahrt vom Krankenhaus erzählte mir die Taxifahrerin, dass sie nach ihrer Auffrischimpfung ebenfalls auffällige Symptome hatte. So setzte bei ihr, obgleich längst in der Menopause, eine Blutung ein und auch sie sah Doppelbilder.

Anlass genug, um darüber nachzusinnen, wann denn bei mir die „unbemerkten“ Schlaganfälle geschehen seien. Erinnerlich war mir ein Schwindelanfall, den ich unlängst nachts erlitt. Ich musste bieseln und fiel aus dem Bett, weil ich vor lauter Schwindel oben und unten nicht mehr unterscheiden konnte. Also richtete ich mich auf, indem ich mich an einer Regalwange orientierte, die ich nach oben hin abtastete und mich dann den Weg zur Toilette und zurück ins Bett an der Wand entlang tastete. Damals suchte ich den Grund hierfür in privatem Disstress und meiner PTBS, die auch ursächlich für meinen chronischen psychogenen Schwankschwindel ist. Nur eine derart heftige Schwindelattacke hatte ich nie zuvor.

Jetzt durch den Schlaganfall aufgeschreckt, nahm ich mir meinen Kalender vor und stellte fest, dass ich mir damals knapp vier Wochen vorher die zweite Coronaimpfung verabreichen ließ. Zudem fand ich eine Notiz sechs Wochen später darüber, wie ich beim Schwimmen eine heftige Schwindelattacke erlitt. Auch hier empfand ich diesen seltsamen „Hirnkrampf“. Ich streckte mich dann auf dem Wasser aus und orientierte mich waagrecht wie eine Wasserwaage und horizontal mit Blick in den Himmel. So schwebte ich im Becken, bis der Schwindel vorbei war.

Nach der dritten Impfung mit BioNTech im Dezember war ich eine Woche lang so geschwächt, dass ich mehr oder minder sieben Tage durchschlief. Zwei Wochen später hatte ich den erwähnten heftigen Schwindel, der aber alsbald abklang. Danach erlitt ich dann den letzten Schlaganfall, den ich diesmal nicht verschlief. Somit sehe ich, wie nachstehend gelistet, eine zeitliche Koinzidenz – oder noch deutlicher eine naheliegende Korrelation – zwischen Impfung und Schlaganfällen.

21. Mai 2021: zweite Coronaimpfung BioNTech
18. Juni 2021: erster heftiger Schlaganfall, im CT als alter Schlag sichtbar. Ereignis festgehalten in meinem Kalender.
9. August 2021: zweiter leichter Schlaganfall, im CT als alter Schlag sichtbar. Ereignis festgehalten in E-Mail an Freundin

16. Dezember 2021: Auffrischimpfung BioNTech
30. Dezember 2021: leichter Schlaganfall, im CT als alter Schlag sichtbar.
17. Januar 2022: schwerer Schlaganfall, dokumentiert durch Stroke Unit.

Inwieweit dieser Zusammenhang auch ursächlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Forschung scheint derzeit der möglichen Empirie auszuweichen; wie gesagt sie wäre momentan politisch inkorrekt. Jedenfalls habe ich meine Beobachtung dem Paul-Ehrlich-Institut online gemeldet. Ich erhielt nicht mal eine Eingangsbestätigung.

Dem Anlass entsprang zu guter Letzt folgendes Senryū:

Schwindel voll Schrecken
Oder flackerndes Lebenslicht?
Ein Schlag nach Impfung.

Noch ein Hinweis: Wer mehr über Impfnebenwirkungen bei Covid erfahren möchte, dem empfehle ich das Blog ScienceFiles. Hier der Link auf eine aktuelle Seite zum Einstieg in das Thema.

Fuji

Erstarrte Woge
Von Himmel und Schnee bekrönt
Tosende Stille.

Ohrenbetäubende, brüllende oder hier in meinem Haiku „tosende Stille“ ist eine Metapher für verschiedene Momente, wie man Stille erleben kann. Insbesondere aus spiritueller Sicht wird Stille als ein außerordentlicher Zustand der Erweckung glorifiziert. Nun, ich schließe mich dem selbstverständlich nicht an; denn ich halte gerade diese Art der spirituellen Disziplinierung für Geschwätz – für geschwätzige Stille. Sie stellt eine eigene Form spirituellen Masochismus dar, in die man sich versetzt, um besonders zu werden: Ein Erwachter, Erleuchteter oder einfach nur „woke“ oder genauer gesagt eitel und anderen überlegen. Da ist nichts still, weder außen noch innen.

Stille ist nicht Geräuschlosigkeit, auch auf dem Fuji herrscht keine Stille; nicht mal zur Mitternacht, wenn keine Touristen um den Kraterrand grabbeln. Stille ist ein Raum, in dem man sich findet, um sich zu verlieren und als ein anderer wiederzufinden. Stille ist Einkehr. Hierbei kann eine ruhige Umgebung hilfreich sein; muss es aber nicht. Manchmal ist es auch mitten in der Stadt still. Nicht die Stadt wird dann still, sondern das eigene Gemüt. Mitten im Trubel öffnet sich der Raum innerer Stille. Man wird mit sich allein, ist eingekehrt und verharrt in Ruhe. Schon öffnet sich ein weiter stiller Raum und wir empfinden Transzendenz, ohne sie uns vorzustellen. Derlei Stille steht nicht still; sie wogt und weht. Sie ist Bewegung. Sie kann heilig sein, sofern uns dabei die Ewigkeit berührt.

Glauben, Wissen und Planeten

Glauben Wissen © Matthias Mala

Jupiter, Saturn, Mars und Venus als Morgenstern, das waren die vier Himmelslichter, die zuletzt die späte Sommernacht in diesem Jahr schmückten. Einst galten diese Wandelsterne den Menschen als Götter, heute sind es Planeten, die wir mit Sonden untersucht und uns bildlich näher gebracht haben. Sie wurden zu astronomischen Körpern in einem Sonnensystem und spielen allenfalls noch in der Astrologie eine menschenbewegende Rolle. Unser Wissen über die Welt hat den Glauben relativiert. Einst waren Glaubensdeutungen gleichermaßen Weltdeutungen. Blitz und Donner schleuderten Thor, Zeus oder der große Manitu auf die Erde. Not und Elend, Heil und Segen waren durch Götter gewollt, die sich im Grunde sehr menschlich benahmen, also schlicht willkürlich und machtbesessen und selten mitfühlend und gemeinsinnig. Das zunehmende Wissen über die Natur der Welt hüteten zunächst die Priester, die dazu den Lauf der Dinge scharf beobachteten, wollten sie doch den wirkenden Gott dahinter erkennen. Also forschten sie, denn Wissen war Macht. Entsprechend setzten sie ihr erworbenes Wissen auch selbstsüchtig ein. So bauten sie etwa auditive Tempelanlagen, in denen sie einerseits die Gläubigen über größere Entfernung belauschen und andererseits ebenso als Orakel ansprechen konnten. Dementsprechend inszenierten sie eine allwissende Gottheit und lenkten so unmittelbar wie mittelbar das Gemeinwesen. Ja, sie waren die eigentlichen Götter auf Erden. Dementsprechend gilt der Papst den Katholiken heute noch als der irdische Stellvertreter der Dreifaltigkeit auf Erden.

Wir sehen, trotz vieltausendjähriger Kulturgeschichte auf Erden hat sich nur wenig an den eigentlichen Strukturen geändert. Ja, wir fallen vielmehr wieder zurück in Zeiten, in denen Glaubensgewissheit über faktische Gewissheit gesetzt wird. So werden etwa heutzutage Wissenschaften als politisch nicht korrekt denunziert; womit man sich indirekt an stalinistische Zeiten anlehnt, als in der Sowjetunion beispielsweise der Lyssenkoismus (siehe Link) viele Menschenleben forderte.

Forschen unter ideologischen respektive religiösen Bedingungen ist ohnehin wenig effizient. Denn die unerlässlichen Dogmen zum Schutz der Ideologie schließen viele mögliche Perspektiven aus; schließlich besagt ein Dogma, was ist, und nicht, was nicht ist. So gab es schon 500 und 300 Jahre vor Christus in Indien wie Griechenland die Vorstellung eines heliozentrischen Weltbildes (siehe Link), was allerdings in der christlichen Welt erst mit Kopernikus bekannt wurde und sich mit Keppler trotz Widerstand beider Kirchen durchsetzte; denn der Eifer der Menschen, sich die Welt zu erklären, bedingt auch ihre gründliche Erkundung. Folglich werden auch die unaufgeklärten Schatten irgendwann überwunden sein. Bei einigen dauert es freilich ungewöhnlich „gewöhnlich“ lange; da der Mensch sich eben nur schwer von seinen Gewohnheiten trennt. So lebt etwa die Idee des Sozialismus immer noch, obgleich sie seit ihrem Bestehen immer wieder spektakulär scheiterte. Das gleiche gilt für die Religionen, obgleich sie Quell wiederkehrender Konflikte sind, lässt der gewöhnliche Mensch nicht von seinem Glauben und vertraut den magischen Ritualen seiner Religion.

Doch inzwischen scheint sich auch hier etwas zu bewegen. Die Religionen schwächeln, indem ihnen die Menschen davonlaufen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, eine ist gewiss die zunehmend erodierende Glaubensgewissheit. Die Gläubigen glauben ihren Priestern und Gurus immer weniger. Allgemeine Bildung und zunehmender Wohlstand sind einerseits den Religionen feind, andererseits lässt der Mensch von seiner eingefleischten Gewohnheit nicht, lieber zu glauben, als zu wissen. Wir können dies in den sozialen Medien, in der Berichterstattung und im Gespräch ablesen. Wir entwickeln allgemein Meinungen zu Themen, die wir nicht überschauen können. Unsere Meinungen basieren auf unserer Glaubensbereitschaft, unseren Vorurteilen und dem gesellschaftlichen Trend. Was gerade im Schwange ist, hat eher eine Chance, allgemein geglaubt und gemeint zu werden. Die aktuelle Pandemie ist der Spiegel, den wir uns hier vorhalten könnten. Doch die wenigsten tun es und bleiben bescheiden in ihrer Meinungsbildung, indem sie beobachten und sich eingestehen, dass sie hierzu zu wenig wissen.

Derlei Bescheidenheit war den Religionen schon immer fremd. Sie wussten über das, was sie nicht wussten, allerhand und fabulierten munter drauf los. Und damit ihr System in sich geschlossen blieb, entwickelten sie die Theologie, indem sie einen Quark auf den anderen schichteten, bis er zu steinhartem Käse trocknete. In ähnlicher Weise geht es heute weiter, denn die Glaubensbereitschaft ist weit höher als die Bereitschaft, sein Unwissen anzunehmen und zu bekunden. Jedenfalls haben allerlei Sekten Auftrieb, wobei ich hierfür nicht zwischen sektiererischen politischen und religiösen Weltanschauungen unterscheide. Beide drehen in kleinen Zirkeln ihren intellektuellen Magerquark, und damit er nicht zu schnell vergammelt, schotten sie sich gegen störende Einflüsse ab. Das ist, was gegenwärtig in den asozialen Medien massiv geschieht. Die Gesellschaft fragmentiert virtuell, und die virtuelle Zersplitterung etabliert sich auch im wirklichen Leben. – Die Welt wird scheinbar einfacher, aber auch gefährlicher, denn sie kann leicht erschüttert werden und zerbröseln. Denn mit einer widerlegten Meinung werden für viele auch Persönlichkeitsanteile infrage gestellt; schließlich sind sie mit ihrem Wesen das, was sie glauben und meinen. Werden diese Überzeugungen entwertet, wird auch die Person entwertet, wodurch für gewöhnlich das Aggressionspotential und nicht die korrigierende Einsicht steigt. – Gut, wer sich in einer solchen wahnhaften Welt noch selbst modifizieren kann; schlecht für all jene, die mit ihrem zerbrechenden Glauben und Meinen selbst zerbrechen.

Rollentausch

Rollentausch @ Matthias Mala

Oh ja, ihm geht’s gut. Nein, der ganze Wahnsinn interessiere ihn nicht. Er habe ordentlich zu tun … Wieder mal ein Mann, der sich über seine Arbeit definiert, obgleich er gar keine mehr hat. Ja, es gibt ebenso jene Frauen, die sich regelmäßig mit ihren Freundinnen im Caféhaus treffen und dort trällern, wie prima es bei ihnen daheim läuft, obgleich ihre Familien auseinanderfallen und sie nur noch mit pharmazeutischer Seelenschminke über die Runden kommen.

Oh ja, die Welt ist eine Bühne und viele von uns spielen ihre Rolle bis ins Grab. Wobei ein jeder Mensch seine eigene kleine Theatergruppe ist, die durchs Leben tingelt. An jeder Ecke, auf jedem Stuhl ist er eine Variante seiner selbst; nur wo ist er echt? Wer weiß es? Ich denke, die wenigsten wissen es. Ja, die meisten haben noch nie darüber nachgedacht, dass sie Selbstdarsteller sind, ohne zu wissen, wer dieses Selbst ist. Gerade deswegen wirken sie auch für sich selbst und somit erst recht nach außen authentisch.

Andere wieder sind in religiöse oder esoterische Zusammenhänge eingebunden, in denen es das höchste Ziel ist, keine Rolle mehr zu spielen, sondern eine entpersonalisierte Person, eine vom Ego entkernte Seele zu sein. Was immer das auch sein soll, sie nennen es Erleuchtung, Samadhi, Moksha, Satori, Kenshō oder Bodhi. Eine Menge Bezeichnungen für einen Zustand, in dem man selbst für sich selbst keine Rolle mehr spielt … oder besser gesagt spielen sollte. Denn eigentlich ist Erleuchtung nur die Krönung des Narzissmus. Die erleuchtete Person hat sich derart zentriert, dass sie zum Nabel Gottes geworden ist. – Ein recht infantiler Zustand …

Gesünder ist es, hin und wieder die Rollen zu wechseln. So kann man sich aus verschiedenen Perspektiven erleben und bei guter Reflexion die Selbstdarstellung derart optimieren, dass man zum Prätendenten für jedermann wird. Ja, man wird zum Star im Quartier, im Dorf, der Stadt, im Land oder gar weltweit. Nur legt man damit seine Rolle nicht mehr selbst fest, sondern bekommt sie von seinem Publikum zugewiesen. Will man sie wechseln, hat man die Wahl zwischen Pension, Verbannung oder Häme. Man kann sich dann – einmal geprägt – niemals mehr enteilen.

Bemerkenswert an diesem Spiel ist, egal wie wir es spielen, wir leben meistens die Figur, die andere in uns sehen. Es ist offensichtlich problemloser, dem Bild der anderen als dem eigenen zu entsprechen; weswegen wir fast wie selbstverständlich so leben, wie wir meinen, dass die anderen uns sehen. Nur manchmal ereilt uns die Enttäuschung, sobald diese Blase platzt und wir erkennen müssen, dass man uns ganz anders erlebte, als wir meinten, dass es geschähe. Was lernen wir daraus? Für gewöhnlich nur, dass wir die erwünschte Rolle proben und präsentieren; andernfalls müssten wir uns von uns selbst ein wahres Bild machen. Doch da das nicht geht, denn dann müsste etwas konkretes in uns selbst wirken … Wäre etwas konkret, wäre es unveränderlich; wäre es unveränderlich, wäre es inexistent, denn die Eigenschaft jeder Existenz ist ihre Veränderung.

Oh ja, wir müssten Gott sein, könnten wir die ultimative Rolle unserer Selbst spielen. Da diese Rolle aber göttlicherseits für niemanden vorgesehen ist, bleibt uns nur, uns immer wieder neu zu schöpfen, in neue Rollen zu schlüpfen, alte abzulegen und hierdurch lebendig zu bleiben. Darum, fürchten wir uns nicht vor den Rollen, die uns zugewiesen werden, sondern vor unserem inneren Hang, sie zu bewahren, um in ihnen zu verkrusten. Es wäre der Tod im Leben! Blicken wir hingegen in den Spiegel des Lebens, erkennen wir uns als der, der wir sind, indem wir uns sagen: Das bist du nicht! – Das bist du nur vorübergehend.

Also gehen wir weiter …

Coronales

Janus © Matthias Mala

Dieser Tage, da die Seuche rund um den Globus zieht und wir zueinander auf Distanz gehen und gleichzeitig Nähe suchen … Was soll man sagen, wo wir gerade alles wieder und wieder auskehren, was wir an guten wie schlechten Eigenschaften besitzen: Nachbarschaftsgeist, Raffgier, Nächstenliebe und Selbstsucht, dazu noch Dankbarkeit und Feindseligkeit. In der Not entblößen sich die Charaktere bis auf ihren ebenso hässlichen wie schönen Kern. Da erwacht Janus in uns wieder, der doppelgesichtige römische Gott. Allerdings war es Janus Eigenschaft, sowohl Anfang als auch das Ende oder die beiden Seiten einer Medaille zu sehen, anstatt die Menschen anzuhalten, auf ihren eigenen zwiespältigen Charakter zu blicken. Diese Übung bleibt auch heute überwiegend der Seelenheilkunde vorbehalten, die dabei aber auch meist versagt, indem sie das Böse als Folge frühkindlicher Störungen betrachtet und es somit als eingefleischte Unreife entschuldigt. So kommt es, dass heute wie damals die Figur des Massenmörders faszinierender ist, als diejenige seiner Opfer. Dabei wäre es so einfach, würde man ein Charakterschwein als Charakterschwein bezeichnen und nicht als Opfer des Klammerbeutels, mit dem es als Säugling gepudert wurde.

Einfach …? Ja, einfach! Einschichtig, ein Fach, eine Lade, in ihr liegt die sichtbare Tat, das Böse und nicht sein Gegenteil. Diese Münze besitzt keine zweite Seite. Sie ist einseitig, und diese Einseitigkeit ist bei der Betrachtung der Täter entscheidend, um ihren Opfern gerecht zu werden. Niemand käme auf die Idee einem Philanthropen beim Lob seiner Wohltaten im gleichen Atemzug seine Schändlichkeiten vorzuhalten. Bei Tätern neigen wir hingegen beinahe zwanghaft dazu, ihnen auch gute Züge nachzusagen, als ob wir so ihre Schlechtigkeit eingrenzen könnten. Damit aber missachten wir ihre Opfer, die nichts gutes durch sie erfuhren, und werden letztlich somit niemanden gerecht. Dabei sollten wir allein die Tat und ihre Folgen wiegen, nur so würden wir dem eigentlichen Ereignis gerecht. – Warum aber vermeiden wir das?

Weil letztlich all unsere Handlungen in unseren Absichten begründet sind. So geben sich manche betont weltoffen, um ihren eigene Kleinkariertheit zu kaschieren. Andere geben sich feindselig, um die gleiche Erbärmlichkeit vor sich zu vertuschen. Wobei uns die eigene Absicht häufig selbst verborgen bleibt, weil allein das vorgetragene Motiv uns ziert, während der tiefere Blick uns als selbstsüchtig, schwach und berechnend bloßstellen könnte. So zeigen wir Milde, gegenüber der bösen Tat, weil wir uns selbst korrumpieren. Schließlich sind wir Täter wie Opfer in einem. Wir sind die Janusköpfigen, die hinter ihrer honorigen Fassade die Bestie verbergen. So haben wir Deutsche zwar nach den Massenmorden, die wir allein begingen und nicht – wie eine gängige Floskel vorgaukelt – in unserem Namen begangen worden waren, die Verjährungsfrist für Mord nachträglich aufgehoben. Wenige Jahre darauf aber ermöglichte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass die lebenslängliche Strafe hierfür faktisch auf 15 Jahre Gefängnis reduziert wurde. Damit entschuldeten sich die Kinder der Massenmörder gewissermaßen selbst.

Um unserer eigenen Schlechtigkeit willen, stifteten wir das Gute, um zu heilen, was das Böse in uns anrichtete. Doch in Wahrheit beförderten wir nur Bitternis und Scheinheiligkeit. So wurden Täter zu Gerechten und Opfer zu Vergessenen, denen man sich zu Stichtagen pflichtschuldigst erinnerte. 2002 fand sich die Bundesrepublik großzügig bereit, einstigen Zwangsarbeitern im Ghetto Rentenleistungen in Aussicht zu stellen. 2014 waren 90% der Anträge der Zwangsarbeiter abgelehnt worden, da zum einen Rentenanwartschaften nur durch freiwillige Arbeit entstehen konnten, und zum anderen Kinder unter 14 Jahren gar nicht arbeiten durften und somit ebenfalls keine Rentenansprüche erwerben konnten (Quelle).

In diesen Tagen, wo wirkliche Not und scheinbarer Anspruch miteinander wetteifern, werden überspannte Seelen auf Flitzebogen gesehnt, um böse Pfeile abzusenden … Es wird gelogen, weil Absichten getarnt, und manch einer kocht sein eigenes Süppchen wie immer, wenn eine Krise neue Chancen bietet, die man noch nicht überblickt. Dann kommt auch Janus wieder ins Spiel, denn man versucht, aus dem Schatten ins Licht zu linsen und seine künftigen Pfründe zu fundieren. Oder anders gesagt, man erfindet des Rad wieder neu, auf das man seine Widersacher spannt, um ihnen die Knochen zu brechen, und schaut dazu ganz unbedarft aus der Wäsche. Womit selbst im Umbruch der Krise alles beim alten bleibt. Und wir Deutschen haben darin nun wirklich gründliche Erfahrung.

Vor der Krise ist in der Krise. In der Krise ist nach der Krise, und nach der Krise ist vor der Krise. Wer zu spät Toilettenpapier bunkerte, musste sich seinen Hintern wie zu Napoleons Zeiten am Brunnen waschen. Offensichtlich bleiben wir im Kern dieselben, egal wie sich die Zeiten ändern. Darum sollten wir auch unsere Hoffnungen auf eine bessere Welt aufgeben. Jedenfalls dürfen wir uns glücklich schätzen, dass wir seit 1945 bis heute so glimpflich über die Runden kamen. Betrachten wir zudem den mythischen Januskopf genauer, erkennen wir, dass er von beiden Seiten gleich auszieht. Beide Seiten seiner Medaille gleichen sich. Die Zeiten ändern sich, so wie sie sich grundsätzlich wiederholen.

Was sich gewiss ändert ist, dass wir dieselben Fehler nicht wiederholen können, dafür aber die gleichen, und die Variationen des gleichen sind, blicken wir nur in die Geschichte, unendlich. Andernfalls würden solche Bilder wie das des doppelköpfigen Janus über die Zeit unverständlich. Es waren übrigens die Römer, die ihn schöpften. Bei den alten Griechen gab es noch keine Idee für ihn. Angesichts dieses mythologischen Fortschrittes in der Antike bin ich selbst närrisch genug, zu glauben, dass über die Zeit Vernunft und Mitempfinden in den Menschen zunehmen; obgleich die nackten Zahlen im großen und ganzen dagegen sprechen. Doch im kleinen Hier und Jetzt hat sich die Welt weit mehr zum guten verändert. Das schließt atavistische Ausbrüche nicht aus, wie wir sie jetzt und danach immer wieder erleben werden. – Bleiben wir gesund und werden wir vernünftig …

Umarmen, ja, aber nur herzlich

Umarmung © Matthias Mala

Jüngst dachte ich über Umarmungen nach, weil ich einen Menschen umarmen wollte, es aber dann doch unterließ und wenig später einen anderen herzlich umarmte. Was zeigt, aufeinander zuzugehen und sich zu umarmen, ist oft ebenso überlegt wie spontan – also menschlich.

Manch einer meint, Händeschütteln sei eine Kulturleistung, die die Welt friedlicher gemacht habe, da man aufeinander zuginge, einander Verbundenheit und Eintracht bezeuge. Allerdings handelt es sich dabei um eine relativ junge Kulturleistung. Sie soll in Zeiten der Gnosis, also um die Zeitenwende, als Erkennungszeichen der Gnostiker untereinander entstanden sein; so wie Banden überall auf der Welt und durch alle Zeiten hindurch ihre eigenen Begrüßungsrituale pflegten und pflegen. Durch das Christentum, einer ursprünglich gnostischen Sekte, soll das Händeschütteln im westlichen Kulturkreis überdauert haben. Sei’s wie’s sei, jedenfalls wurde die Welt dadurch nicht friedlicher, selbst unter Christen nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich durchs Händeschütteln einen Mitmenschen auch auf Distanz hält. Weiterlesen

Der Froschkönig, ein feministisches Märchen

Froschkönig © Matthias Mala

Kein Kuss verzauberte den Frosch in einen Prinzen. Nein, die Prinzessin schmetterte den Broz gegen die Wand, und aus dem blutigen Batz, der herabschmierte, formte sich der Prinz. – Nicht umsonst steht ein Broz, eine Kröte, für die Gebärmutter und damit auch für die Hysterie, die dem Weib solch ein Verhalten erlaubt.

Das ist die Geschichte, die das Leben auch heute schreibt. Männerklopfen allüberall: Männer sind verantwortlich für die Klimakatastrophe und für die niedrige Geburtenrate und dafür, dass Frauen, wenn sie weniger arbeiten, weniger verdienen. Männer werden gegen die Wand gedrückt. Frauen befreien die Welt!

Das fiel mir ein, als ich das Jahresbild für 2019 zeichnete. Dabei wollte ich eigentlich im vagen bleiben. Nur die Ziffern der Jahreszahl miteinander so arrangieren, so dass daraus ein Muster entstünde, das genügend für ein Bild hergibt. So wie ich es seit 2002 pflegte. Und diesmal war‘s ein Quakmaul, ein Frosch, was ich in der Skizze entdeckte. Weiterlesen

Entelechie, die Zukunft fordert die Gegenwart

Die Zukunft fordert die Gegenwart © Matthias Mala

Telos ist das Ziel und dem Begriff „Entelechie“ eigen. Es bedeutet soviel wie, sein Ziel in sich tragen. Im mystischen Sinne wäre das Ziel aller Schöpfung neben der unlösbaren Einheit mit dem Schöpfer, denselben auch zu überwinden; sich also letztlich von der Schöpfung lossagen zu können, um sich selbst in Seinem Sinne zu kreieren. Es ist ein Paradox, das  sich hierbei in zwei gleichwertig möglichen Zielen darstellt, also zwei zueinander widersprüchliche Wege aufzeigt. Der eine wäre der Weg der Mystiker, nämlich durch Selbsterkenntnis Gotteserkenntnis zu gewinnen, was letztlich einem kosmischen Bewusstsein oder banal ausgedrückt einer Erleuchtung gleichkäme. Es wäre zugleich der lebendige Tod des Egos, denn Erleuchtung ist Ich-Überwindung. Der andere Weg wäre der satanische Weg, der Weg Luzifers mit dem Ziel der Selbstvergottung, nämlich durch Welterkenntnis selbst zum Schöpfer neuer Welten zu werden. Hier schwindet das Ego nicht durch Erleuchtung, sondern durch Selbstzentrierung, auf dass es in sich selbst stürzt und die Inkarnation des eigenen kosmischen Geistes ermöglicht. Letztlich führten beide Wege im Ergebnis zum selben Ziel: ein Wesen mit kosmischem Bewusstsein ohne kleinliche Ich-Zentrierung. In den östlichen Religionen entspricht der mystische Weg dem konventionellen und der satanische dem tantrischen Pfad oder anders ausgedrückt: das eine ist Beschauung und das andere Praxis; das eine ist Luft und das andere Feuer; das eine ist Gnade und das andere Willen. Weiterlesen

Fügung

Fügung © Matthias Mala

Antonio ist ein glücklicher Mensch. Er betrieb lange Zeit ein Restaurant bei mir um die Ecke. Dann kochte er für eine Kirchengemeinde. Heute kocht er für eine reiche Familie in Italien. Als ich eines Tages bei ihm im Restaurant saß, fragte er mich, ob ich nicht wüsste, wie er seinem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen könnte. Das Geschäft liefe nicht mehr so gut, und er überlegte sich, wie er es verbessern könne. Aber alles was er versuche, bliebe wirkungslos, und das genau seit dem Tag, wo er seinen ersten in seinem Restaurant verdienten Schein aus einer Laune heraus an einen Gast verkaufte. Der Gast wollte sich damit finanzielles Glück kaufen.

Ich riet Antonio verschiedenes, aber er hörte mir nicht richtig zu. Im Laufe des Gesprächs fragte er mich schließlich, was ihn wirklich umtrieb. Ob man denn die Lottozahlen auspendeln könne, wollte er wissen. Ich antwortete, ja, man könne es, sofern einem ein Lottogewinn bestimmt sei. Vier Wochen später zog mich Antonio in sein Restaurant und zeigte mir einen Lottoschein vom Mittwochslotto. Er hatte nur zwei Felder angekreuzt gehabt und in beiden Feldern hatte er den Haupttreffer beider Ziehungen. Ich gratulierte ihm, doch er winkte ab. „Du hast gesagt, wenn es einem bestimmt sei, kann man die Zahlen erpendeln. Mir war es nicht bestimmt. Sieh, den Schein habe ich gestern am Mittwoch aufgegeben, weil es Mittwochslotto heißt. Die Nacht davor saß ich mit dem Pendel über den Zahlen und habe sie getippt. Heute sehe ich die Zahlen, zwei Haupttreffer. Ich denke, Antonio, jetzt bist du ein paar Millionen schwer, und laufe sofort ins Lottogeschäft. Die Frau schaute sich den Schein an und sagte schließlich: „Antonio, du bist ein echter Pechvogel. Du hättest den Schein am Dienstag abgeben müssen, damit er für die Ziehung vom Mittwochabend gegolten hätte. Dieser Schein gilt für die Ziehung am kommenden Mittwoch.“

Als ich Antonio trösten wollte, winkte er wieder ab. „Nein, ich danke dir, Matthias, du hast mir das Glück wiedergegeben. Ich weiß jetzt, dass mir kein Lottogewinn bestimmt ist. Das Pendel hat mir gesagt, Antonio, vergiss den Blödsinn, auf irgendeinen Gewinn zu hoffen. Pack dein Leben an, dann greifst du ins Glück. Ja, und das mache ich jetzt. Ich verkaufe den Laden und koche demnächst in der Kirchengemeinde. Da bin ich unter lauter fröhlichen Menschen.“ Weiterlesen

Weiße Orchidee

weiße Orchidee © Matthias Mala

weiße Orchidee © Matthias Mala

Sanfter Wind streicht durch die Pappelreihe, die den Feldweg säumt. Ein munteres Rascheln liegt in der Luft, wir blicken auf. Silbrig grünes Laub flittert und flüstert, als wollte es uns ein Geheimnis mitteilen. Wir verlassen die halbe Allee und wandern über die offene Wiese. Milde Wärme der Abendsonne umfasst uns, unsere langen Schatten begleiten uns über die sattgrünen Matten. Goldenes Licht liegt über dem Land. Es ist ein gottvoll lauer Abend nach einem heißen Tag.

An ein paar Halmen in der Wiese haben sich Dutzende von Kohlweißlingen versammelt. Es scheint, als blühte inmitten der Wiese eine weiße Orchidee. Die Falter verharren nur kurz unbewegt, dann schlagen sie unhörbar mit ihren Flügeln, ohne vom Halm zu flattern. Ihre Bewegung gleicht dem Spiel der Pappelblätter; nur wechselt hier der Farbton zwischen Silber und Weiß. Wir verharren eine gute Weile und beobachten das Spiel. Weitere weiße Schmetterlinge kommen hinzu, doch keiner flattert davon. Schließlich spazieren wir auf das Dorf zu, die Schmetterlinge bleiben zurück als weiße Orchidee im Wiesengrund … Weiterlesen

Uns zum Ebenbilde

Uns zum Ebenbild © Matthias Mala

Uns zum Ebenbild © Matthias Mala

Als wir Menschen noch in Höhlen lebten, machten wir aus Blitz und Donner Götter. Wir konnten uns die Wettererscheinung nicht erklären, also versuchten wir, sie uns zu deuten. Und weil Blitze töten und Feuer entfachen konnten, waren sie erkennbar mächtiger als wir. Zudem vermuteten wir, dass das, was so viel mächtiger als wir war, uns auch beherrschen konnte. Folglich machten wir uns diese Macht durch Geschenke wohlgesonnen. Womit wir unser eigenes Verhalten auf die unerklärliche Macht projizierten. Wie oben so unten, ist der magische Grundsatz, der hierbei zur Geltung kommt und gewissermaßen durch seine Verkehrung der Wirklichkeit fast wie ein Gottesbeweis verstanden werden kann. In jedem Fall war ein derartiges intuitives magisches Verständnis eine erste Manifestation von Religion. Mit diesem Fundament ließ sich jedenfalls leichthin durch logische Deduktion manch prächtige Religion ausbilden.

Denn unsere Umdeutung von Blitz und Donner zu Thor und Jupiter war eine Deutung nach dem Prinzip wie unten, so oben. Wir schrieben unsere Klanstrukturen in den Himmel hinein, und nahmen diese Zuschreibung wiederum als Beleg für die Existenz der Gottheit, der wir fortan opferten, um sie uns gefällig zu machen. Ein Zirkelschluss, der nicht so lange Bestand gehabt hätte, wenn nicht die Priesterkaste damit auch ihre Herrschaft begründen konnte und weiterhin begründet. Schließlich funktioniert dieses magische Similiaritätsprinzip unter anderem auch heute noch unter dem Namen komplementäre Medizin als anscheinende Wissenschaft. Warum also sollte die Religion nicht wie eh und je als vermeintliche Geisteswissenschaft heute noch Bestand haben. Dementsprechend benützen wir im heutigen Eklektizismus, bei dem sich jedermann seine Religion aus Esoterik und Quantenphysik nach Gutdünken zusammenschustert, die gleichen Muster verquerer Logik, um zu deuten, was wir nicht begreifen können. In der Folge glauben wir, weil wir unser Unwissen in den Himmel hineingeschrieben haben, dass es von dort aus auf uns, als uns erhellende Wirklichkeit, niederkommt.

Es ist das uralte Gedankenspiel mit der Verschiedenheit von Substanz und Akzidenz, dem Wesentlichen und Unwesentlichen. Weiterlesen

Der blinde Fleck

Objet trouvé von Ruth Mala © Matthias Mala

Objet trouvé von Ruth Mala © Matthias Mala

Jeder Mensch besitzt natürlicherweise einen Punkt, den sein Auge nicht sieht. Er wird blinder Fleck genannt. Er ist notwendig für die Sehfähigkeit des Auges, denn es ist der Sehnerv selbst, der die Sicht ein wenig verblindet. Das spezielle des blinden Fleckes ist, dass wir ihn nicht erkennen, sondern das fehlende Sichtfeld einfach ergänzen. Unser Hirn täuscht uns dazu eine optische Wahrnehmung vor, wo keine ist.

Soweit so gut. Wir sehen trotz physiologisch beschränkter Wahrnehmung ausreichend genau und sind deswegen in unserem Alltag nicht behindert. Ja, bis ins 17. Jahrhundert hinein wusste die Menschheit nicht einmal, dass jeder Mensch einen blinden Fleck mit sich herumträgt. Seitdem aber ist er eine beliebte Metapher für die beschränkte Sicht auf die Dinge und die Welt, der jeder Einzelne grundsätzlich ausgesetzt ist, da wir uns so oder so buchstäblich auch mit Scheuklappen durch die Welt bewegen. Weiterlesen