Effektiv Leben

Hamsterrad©Matthias Mala

Die Greisin war wieder gestürzt und brach sich erneut einen Oberschenkel. Doch diesmal wollte sie sich nicht mehr so richtig erholen. Sie spürte, dass sie die Kraft zur Rekonvaleszenz nicht mehr besaß. Die Einschränkungen durch die erneute Verletzung würden nicht mehr vergehen, also würde ihr Lebenslicht alsbald erlöschen. Es ist wie so oft, das Sterben beginnt, indem die Seele sich aus dem Leben löst. „Es ist gut so, ich habe mein Leben gelebt“, sagte sie, und zu einem Problem, das anstand, meinte sie nur: „Ich möchte mich in meinen letzten Lebenswochen nicht mehr damit befassen.“ Sie sagte es ohne Harm; er war eine Feststellung wie, „die Milch ist kalt“, nichts weiter.

Sie befand sich in ihrer letzten Lebensphase, die auf den Tod hin gespannt war. Sie hatte dieses Ziel ins Auge gefasst und bewegte sich ihm zu. Da gab es keine Notwendigkeit mehr, durch eine dämmrige Lebenslandschaft zu mäandern, da warteten keine Erlebnisse mehr auf sie, das Erleben war einzig dieser letzte Weg. Er war wohl mehr pures Leben, als wir es uns, die wir vermeintlich im blühenden Leben stehen, vorzustellen vermögen.

Doch ähnlich ausschließend verhalten sich viele von uns; ja, ich habe den Eindruck, es verhalten sich immer mehr Menschen so – indem sie sich nicht mehr befassen wollen -, wenn es um ihre Mitwelt geht. Die geselligen Medien, die uns per Apps und via Internet verbinden, lassen uns zusammenrücken und vermitteln uns mit ihren sofortigen Reaktionen ständig euphorische Belohnungsreize. Unsere, durch soziale Netzwerke gebundene kommunikative Wahrnehmung aktiviert unsere Glückshormone und verstärkt so unsere Bindung in diese Systeme. Hierdurch bilden wir hermetische Gruppierungen, in denen die immergleiche Weltsicht behauptet und verteidigt wird. Wir werden abhängig vom Glück, einer Gruppe zuzugehören und in ihr akzeptiert zu sein. Also klicken wir wie Laborratten, immer schneller den Belohnungsschalter, um uns ein Wohlgefühl zu vermitteln.

Das ist übrigens kein neues Phänomen. Derlei Verhalten pflegten wir schon als Horden in den Höhlen menschlicher Entwicklung. Wir hockten zusammen und erzählten uns Geschichten, die unser Weltbild zusammenhielten. Wer nicht mitspielte, wurde, wenn er Pech hatte, den Göttern geopfert, oder, falls er Glück hatte, als Schamane an den Waldrand gesetzt, wo er uns ab und an den Spiegel vorhalten durfte, damit wir nicht vollends in Anpassung und Gleichschritt versumpften.

Bedenken wir nur, mit was allem wir uns nicht befassen wollen. Und das ohne Not. Da erwartet uns kein Sensenmann. Da ist nur unsere Unlust, unsere Komfortzone verlassen zu müssen. Mit dieser Unlust wirkt aber auch die Angst vor Veränderung. Denn rücken wir von unserer gleichförmigen Weltsicht ab, entrücken wir auch den Freunden, die sie bislang mit uns teilten und „likten“. War bislang jeder Klick von Folgern auf den Likebutton ein Dopaminstoß, blieben wir nun ungedopt, ungeliebt, auf uns selbst geworfen.

Warum also sollen wir das tun? Warum sollten wir die Filterblase, in der wir schwimmen, durchbrechen? Schließlich haben wir darüber unsere Kultur geschaffen und erhalten. Aus solchen Filterblasen heraus wurden Religionen gestiftet, Weltreiche errichtet, Recht und Ordnung geschaffen, und doch blieben wir im Grunde nur Laborratten, die beständig auf ihren Belohnungsschalter klickten, bis sie irgendwann tot umfielen. Was ist daran so schön, wie ein Hamster im Rad zu laufen? Man läuft dem Leben davon, indem man auf der Stelle tritt, und die einzige Gespanntheit diejenige ist, gewohntes zu bewahren und Veränderungen auszuschließen. Ja, wir halten unser Hamsterrad für den langen Weg der Wahrheit und singen dazu das redundante Mantra: „Der Weg ist das Ziel.“

In dieser Weise haben wir unser Leben aber schon aufgegeben, ehe wir zu sterben begannen. Dies ist ein Tod, den wir seltsamerweise nicht fürchten, sondern vielmehr begrüßen, als wäre Beständigkeit ein Naturgesetz. Sie ist es nicht. Wandel und Erneuerung sind ein Naturgesetz. Klar …! Doch diesen Moment der Erkenntnis verschließen wir sofort wieder in einer Filterblase, indem wir eine Bewegung, eine Partei oder eine Religion gründen und uns dabei so avantgardistisch vorkommen, als hätten wir eine Revolution gewonnen. Dabei haben wir nur das Hamsterrad gewechselt. – Hören wir auf, Hamsterräder zu bewegen, sondern wagen wir uns ins Freie und suchen wir unseren Weg im freien Feld; begeben wir uns vom Hamsterrad auf den Hamsterpfad. Ich versichere Ihnen, sie werden dabei lebendig …

3 Kommentare zu “Effektiv Leben

  1. Also ich sehe das anders als der Großmeister, denn es kommt auf die Art des „Hamsterrades“ an.
    Wenn man etwas sehr gerne tut, dann tut man es im Hamsterrad mit wahrer Begeisterung.
    Man sollte sich dabei allerdings auch Pausen gönnen und dabei von den Hamstern lernen.
    Sobald sie aus Spass genug geradelt haben, hüpfen sie einfach aus dem Hamsterrad. 🙂

  2. Das Bild zeigt einen Hamster, der sein Rad verlassen hat und in den wahren Fluß des Lebens eingetreten ist – die Transformation, auf die es letzten Endes ankommt.
    Leicht ist sie nicht, die Widerstände von allen Seiten dagegen sind enorm. Man wird von anderen geradezu animiert, im kollektiven Hamsterrad zu bleiben. Und manche Leute sind noch Teil spezieller Kollektiv-Hamsterräder, wie Michael Ende einst mit der Geschichte „Die Katakomben von Misraim“ unterhaltsam darlegte.

    „Da ist nur unsere Unlust, unsere Komfortzone verlassen zu müssen. Mit dieser Unlust wirkt aber auch die Angst vor Veränderung.“ Wie wahr, es ist wie eine persönliche Botschaft an mich. Ich wünschte, ich wäre der Hamster oben im Bild.

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