Götterspeise

Götterspeise © Matthias Mala

Götterspeise © Matthias Mala

Drohnen bombardieren inzwischen tagtäglich irgendwelche Ziele im Mittleren Osten, doch wir hören und lesen nur selten davon. Wenn, hören wir meist nur davon, wenn irgendwo mal wieder eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert worden ist. Eine so gesprengte Hochzeitsgesellschaft ist inzwischen zum Stereotyp für eine besonders feige, barbarische Kriegshandlung geworden; dementsprechend wird sie publizistisch ausgeschlachtet. Es geht dabei kaum um die Toten und Verwundeten, die an der Tafel saßen, tanzten und feierten, damit das Leben in einer liebevollen Verbindung seinen Fortgang findet – sie werden nur instrumentalisiert -, sondern es geht darum, die kriegstechnisch Stärkeren, die feigen Helden, in der Antike auch Thrafydeilen genannt, zu desavouieren. Das ist die billige Widertat des Unterlegenen, indem er als Opfer den Heckenschützen moralisch bloßstellt und dabei seine eigene Kriegsbeteiligung schönt – als wenn nicht jede Kriegsbeteiligung moralisch fragwürdig wäre. Das war schon im trojanischen Krieg gängige Propaganda. So schmähte man etwa Achilles zuweilen wegen seiner Niedertracht, während man die nicht minder tödliche Arglist des Odysseus besang.

Warum vor allem die Nachricht von der bombardierten Hochzeitsgesellschaft als besondere Boshaftigkeit und Hinterhältigkeit des Angreifers empfunden wird, liegt zweifellos an dem archaischen Bild, das mit dem gemeinsamen Mahl verbunden ist. Christis Abendmahl war sein letztes friedvolles Zusammensein mit seinen Jünger. Christus stiftete die Eucharistie vor seinem Martertod als transzendentale Gemeinsamkeit von Gläubigen und Gott. Sie ist ein Übergang vom irdischen zum himmlischen. Die Inkorporation des Gottes ist ein urmenschliches Ritual, dass wir bereits einübten, als wir begannen, gemeinsam am Lagerfeuer das erlegte Wild zu verspeisen. Heute wiederholen wir dieses Ritual tagtäglich in der Kantine, im Gasthaus, im Fastfoodladen und beim gemeinsamen Mahl in der Familie am Morgen oder am Abend.

Essen als selbstverständliche Kommunion

Gemeinsam zu essen, ist ein Friedensritual. Es stiftet Gemeinsamkeit und schafft einen warmen Raum, in dem wir uns zeigen können. Tischgespräche sind darum häufig auch von besonderer Intensität. Dabei müssen nicht immer nur Klugheiten ausgetauscht werden. Weit häufiger wird dabei das soziale Miteinander austariert, indem Positionen bezogen, Ansichten ausgetauscht und Strategien für die Gemeinschaft beschlossen werden. In diesem Sinne ist das gemeinsame Mahl die Urform von Kommunion, wie sie später im religiösen Opfermahl weihevoll überhöht wurde.

Heutzutage verliert sich allerdings das gemeinsame Mahl. Viele mampfen auf der Straße, im Bus oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln von der Pappe oder aus der Papierserviette. Die meisten essen dabei geistesabwesend, mit aufgesetzten Kopfhörern und leeren Augen. Sie schmecken nicht wirklich, was sie essen; weswegen die To-go-Gerichte allesamt nur den einfachsten Gaumenreiz ansprechen: süß, sauer, salzig. Es ist achtlose Futteraufnahme, mehr nicht. Gleichzeitig ist es auch eine Demonstration minimierter Selbstachtung und Selbstfürsorge. Essen erscheint so als eine lästige und vernachlässigenswerte Unterbrechung, die man möglichst schnell hinter sich bringen sollte: Fastfood; Schnellimbiss eben.

Es gibt Menschen, die können nicht alleine in der Öffentlichkeit essen, weil sie sich dabei nicht zeigen wollen. Sie haben eine Scheu davor, beim Essen beobachtet zu werden. Sie schämen sich dafür. Häufig, aber keinesfalls zwingend, ist diese Scheu mit einer psychopathologischen Esstörung verbunden. Es kann aber auch einfach die Scham darüber sein, mit der hastig in der Öffentlichkeit verzehrten Jause, ein Tabu zu brechen. Vielleicht ist da in manchen noch das Empfinden wach, dass man so nicht isst; dass solche Verköstigung unmanierlich ist.

Speisen ist Fortsetzung der Schöpfung

Essen und Trinken ist zwingender Lebenserhalt und zugleich intensive Kommunikation mit der Welt. Wir nehmen, was uns die Umwelt gibt, in uns auf und scheiden es, nachdem es unser Körper verwertet hat, wieder aus. Wir kochen und würzen die Speisen, damit sie schmackhafter und bekömmlich werden. Sinnlicher können wir kaum erleben, dass wir in der Welt sind und mit ihr in Austausch stehen. Nichts geht verloren, nichts kommt hinzu. Da ist das Wesen, das sich nährt, dort ist die Welt, die das Wesen für sich gestaltet und umgekehrt. Das beginnt bei der Amöbe, geht über die Pflanzen, Pilze und Tiere bis hin zum Menschen. Wir sind allesamt eins in der Welt. Niemand frisst in Wirklichkeit den anderen, sondern alles wandelt sich nur, indem es aufnimmt, ausscheidet und letztlich vergeht, um zum Substrat für neues Leben zu werden.

Ich denke manchmal, dass sich das Leben seit dem Erscheinen der Amöben in seinen Grundzügen gleich geblieben ist. Es nimmt Gestalt an, um sich mit anderen Gestaltungen auszutauschen und sich so letztlich in jeder Weise zu sublimieren. Der gute Grund oder das besondere Ziel hierfür bleiben verborgen. Es scheint, als sollte alles auf die Bewusstwerdung der Schöpfung durch ihre Geschöpfe hinauslaufen. Womöglich ist der einzige Zweck allen Daseins, das narzisstische Wohlgefallen des Unbewegten Bewegers an sich selbst – sowieso ein überirdisches aber auch ein hypertranszendentales Seinsempfinden. Also Wohlsein jenseits allen Seins in unerkannter Stille. Insofern wären wir hienieden mit allem Leben und allen Welten nur das Ausgangsprodukt einer unfasslichen und unvorstellbaren Götterspeise.

Dieser Gedanke durchscheint ebenso verschiedene Kosmogonien. So sind uns einige Götterspeisen überliefert: Manna bei den Juden, Amrita bei den Hindus, Ambrosia bei den alten Griechen oder der goldene Apfel in der nordischen Mythologie.

Vom Opfermahl …

Indem der Gläubige opfert und mit seinem Gott am Tisch sitzt, nährt er ihn durch sein Sein. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass jedes Mahl, das wir zu uns nehmen, ein göttliches ist. Und hier sollte sich so mancher fragen, ob er seinem Gott wirklich den Fraß zumuten möchte, den er sich selbst gedankenlos hineinstopft. Denn ein göttliches Mahl sollte in allem, von der Aussaat bis zur Ernte, von der Fütterung bis zur Schlachtung, und weiter von der Lagerung bis zur Zubereitung, und schließlich vom Auftragen bis hin zum Speisen, auch ein Gottesdienst sein und dementsprechend mit der rechten Andacht vollzogen werden. Erst in dieser Weise macht der Volksmund Sinn: Man ist, was man isst! Womit wir allein durchs Essen entweder zu Barbaren oder zu Gotteskindern werden. Demnach liegt es an jedem ganz allein, welche Gestalt er annehmen möchte.

… zur chymischen Hochzeit

Damit komme ich zurück zur Hochzeitsgesellschaft. Ein Hochzeitsmahl ist nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem durch das Zusammenkommen der beiden Familien des Brautpaares, ein Bündnis geschlossen wird, sondern es ist zugleich das Liebes- und Zaubermahl der Brautleute. Sie sitzen am Kopf der Tafel vor, essen gemeinsam und füttern sich schließlich gegenseitig mit einem Stückchen Hochzeitstorte. Dies alles ist mit vielfältiger Symbolik aufgeladen, die ihre Liebe demonstrieren und beschwören soll, auf dass sie nicht verfliegt.

Diese Liebesbekundung wird ebenso zum Zeugnis für die Liebe insgesamt. Denn die Liebe eines Paares umfasst idealerweise alle Grade der Liebe; das heißt sie ist ein Gottesgeschenk das Leib, Geist und Seele in himmlischen Sphären verbindet und ihnen somit einen Hauch von Ewigkeit gewährt. Mithin setzt sich in der Liebe des Brautpaares der schöpferische Impuls fort.

In gleicher Weise vermag jedes Mahl zum Liebesmahl mit dem Transzendenten zu werden. Ja, zu speisen ist dann jedesmal ein heiliges Abendmahl. Ist uns dies bewusst, wird Essen und Trinken stets auch ein Vorspiel zur Hierogamie, der himmlischen Hochzeit, bei der sich Götter vermählen. Und im Bewusstsein, diesen Akt zu vollziehen, vereinigen wir uns durch die Einnahme der Speise nicht nur sinnlich mit der Welt, sondern vermählen uns unbedingt auch mit der Göttlichkeit. Essen ist somit auch ein Akt der Hypostase. Das Göttliche offenbart sich durch uns, indem es uns erhält und stärkt. Deswegen dürfen wir unser Essen als himmlisches Liebesmahl immer wieder neu zelebrieren, um höchste Sinnlichkeit zu durchleben.

Und wer fürwahr gut zu speisen versteht, wird die ihn erfassende Euphorie und die sinnlichen Verlockungen während des Mahls genießen und danach freudig im Zustand seliger Sättigung schwelgen. Und egal, ob man an jenseitige Sphären glaubt, man wird so hienieden ganz im Hier und Jetzt in einer Form lebendiger Hypostase eine Ahnung überirdischen Glücks empfinden und in leiser Entfaltung und stiller Weiterung wie Beschaulichkeit den Eindruck gewinnen, dass man von einer höheren Warte aus geliebt wird. – Ja, so sinnlich, so irdisch kann die himmlische Liebe sein. Ja, Verklärung beginnt mit dem Löffeln einer Suppe. Löffeln wir sie also in aller Liebe aus …

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