Rauchen verboten!

Eingang Krematorium KZ Dachau

Eingang Krematorium KZ Dachau © Matthias Mala

Ein Rauchverbotsschild an ein einem Torpfosten. Das Tor ist weit aufgestoßen. Eine gestutzte Buchenhecke säumt einen leicht geschwungenen Kiesweg. Neben der Hecke eine Mastleuchte. Bäume umrahmen einen barackenähnlichen Ziegelbau, auf dem Dach zwei Lüftungslaternen. Vor einer offenen Türe bewegen sich ein paar Leute. Eine Frau, ein Kind und ein Mann, in kurzen Hosen einen Buggy schiebend, gehen auf die Gruppe zu. – Das Foto zeigt den Eingang zum ehemaligen Krematorium des Konzentrationslagers Dachau.

Man sieht die Baracke X, das im April 1943 in Betrieb genommene zweite Krematorium, mit Leichenkammern, Desinfektionsräumen und einer als Brausebad getarnten Gaskammer. In der Gaskammer kam es nicht zu Massenvergasungen. Ob kleinere Gruppen von Menschen dort vergast wurden, ist nicht mehr sicher zu belegen. In dem Krematorium brannten bis Kriegsende vier Öfen. Von März 1933 bis zur Befreiung im April 1945 starben über 32.000 Menschen im Lager. Die meisten ihrer Leichname wurden ab 1940 in den beiden Krematorien im Lager eingeäschert.

Rauchen verboten! Ein Schild an diesem Ort. Ein Schild, das es in diesem Design erst gibt, seit Raucher stigmatisiert werden. Es ist wahrscheinlich politische Korrektheit, die dieses Schild vor diesen Ort befahl und nicht Pietät. Jedenfalls wirkt dieses Schild grotesk. An einem Ort, an dem tausende von Menschen verbrannt wurden, ist ausgerechnet das Rauchen explizit verboten. Das Schild zeigt in seiner schlichten Gegenwärtigkeit auch etwas von der fetischisierten Ordnungsliebe der einstigen Herrenmenschen, die das Morden taylorisierten.

Warum hat mich diese Beobachtung im vergangenen Jahr, als ich die Gedenkstätte wieder besuchte, so erschreckt? Warum empfand ich dabei kalte Grausamkeit? Es war diese Bagatellisierung, diese bornierte Alltäglichkeit angesichts des Monströsen, die mich beim ersten Anblick ansprang.

Rauchen verboten! So wichtig ist die Durchsetzung dieser Haltung, dass man dabei die Groteske, die man mit diesem Arrangement installierte nicht mehr wahrnimmt. Ein Teil meines Schreckens galt auch der Verhöhnung der hier Ermordeten, die ich beim betrachten des Schildes empfand. Vor allem erschreckte mich dabei, die dahinterstehende Einfältigkeit und Gedankenlosigkeit, denn ganz gewiss will niemand von der Verwaltung der Gedenkstätte die Opfer verhöhnen. Dennoch empfand ich so. Empfand die hier Verbrannten als Teil eingebunden in einen schlechten Witz.

Rauchen verboten! Einst war der Tabak den Indianern ein heiliges Kraut. Rauchen war Zwiesprache mit den himmlischen Geistern und ein Zeichen der Versöhnung. Zigarrenrauchen ist auch heute noch Kult und Genuss.

Rauchen verboten! Warum wollen wir uns gegenseitig immer Vorschriften über Lebenshaltungen machen? Warum fällt es uns so schwer, unseren nächsten nach seiner Fasson leben zu lassen? Warum verbieten wir unserem nächsten, was wir uns selbst verbieten? Ausnahmslos ein jeder von uns lebt diese internalisierende Haltung, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Stets versuchen wir, unsere Mitmenschen von unseren Ideen, Vorlieben und Idiosynkrasien zu überzeugen. Ebenso folgen wir unablässig derlei überzeugenden Einflüsterungen. Und all das nur in der einfältigen Annahme, dass wir, sobald wir mit unseren Überzeugungen harmonisieren, uns sympathisch werden, weil wir uns erkannt haben. Deswegen werden Parteien, Golfclubs und Religionen gegründet.

Wir wollen erkannt werden, damit wir wirklich werden. Stimmt uns ein anderer zu, finden wir Bestätigung. Verweigert sie uns jemand, werden wir unwillig und aggressiv. Geben wir Bestätigung erhalten wir ebenso Anerkennung. All das sind sogleich Prozesse der Gleichförmigkeit. Gleichförmigkeit aber ist ein Wesenskern des Faschismus. – Insofern ist das Rauchverbotsschild am Tor zum Krematorium des KZ Dachau eine ungewollte Mahnung, dass die Vergangenheit nicht vergangen, sondern nur gewandelt in uns fortlebt. Diese dunklen Seiten unserer Geschichte in uns immer wieder neu zu erkennen, zählt für mich ebenso zum Weg spiritueller Achtsamkeit.

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