Es hatte aufgehört zu schneien. Außerhalb der Stadt riss der Himmel auf und die Sonne beschien das eingeschneite Land. Es war kalt. Nur in windstillen Nischen spürte man die zunehmende Kraft der Sonne. Wir wanderten den Hügel hinauf zum Kloster und traten dabei eine frische Spur in den Schnee.
Ein jeder geht seinen Weg. Wir erkennen das, wenn wir uns umblicken. Die Spuren schnüren nebeneinander, wechseln, führen weiter, nähern und entfernen sich. Vor uns das Unbetretene, hinter uns das Durchschrittene. Ohne den Weg im Rücken stünden wir nicht hier, wo wir jetzt stehen. Unser Weg hat uns geformt. Vor uns das Offene. Wir haben die Wahl, wohin wir gehen. Mit jedem weiteren Schritt formen wir den Weg, der uns formt.
Sollen wir die Schritte bedenken? Oder lassen wir uns führen? Bedenken wir die Schritte, werden wir konkret. Jeder Schritt ist schon bedacht, ehe er gesetzt wird. Wir bleiben im Bekannten, wenngleich wir auch Neuland betreten und sich unsere Perspektive mit jedem Schritt verändert. Das ist der Prozess allen Lernens. Neues erkennen und dem bereits Gelernten hinzufügen. Insofern bleibt jeder Schritt durch den gegangenen Weg bedingt. Diese Bedingtheit beschränkt die Freiheit der Wahl; wobei letztlich jede Wahl in sich die Freiheit der Möglichkeiten beschränkt.
Wahllos zu sein, bedeutet jedoch nicht größere Freiheit zu haben, es ist vielmehr ein Zustand der Desorientierung oder Interesselosigkeit. Es kann aber auch die Bereitschaft zur Anleitung signalisieren, indem wir jemand anderen die Entscheidung überlassen.
Lassen wir uns auf unserem Weg führen, sind wir wahllos. Von da an geht es nirgendwo hin, sondern nur voran. Was uns leitet liegt jedoch ebenso vor uns, wie hinter uns. Unsere Geschichte hat uns auf diesen Weg gesetzt. Der augenblickliche Standpunkt auf dem Weg ist der Moment unserer Bewegung. Unsere Orientierung folgt der Bewegung, unser Interesse ist die Bewegung. Das vor uns zieht uns an, das hinter uns drängt uns. Auf dem Weg zu bleiben, ist unsere einzige Aufgabe. Jede Richtung mag die richtige sein. Welche aber die richtige ist, erfahren wir nur durch Achtsamkeit. Es ist unsere Achtsamkeit für die Führung – ich meine himmlische Führung -, die uns dabei lenkt.
Wie bemerken wir Führung? Wohl wie ein Vogel in einem Vogelschwarm. Wir bemerken es, sobald wir den Kontakt zu unserer wahren Umgebung verlieren. Unsere wahre Umgebung ist unsere Einbettung ins Sein. Sind wir im Sein, sind wir mit uns. Sind wir außerhalb des Seins, sind wir seinsverloren und wähnen uns als fragmentiert. Ein Teil ist da, ein Teil ist fort. Wir haben den Weg verloren!
Auf den Weg finden wir nicht zurück, indem wir das verlorene Sein suchen, sondern indem wir lassen, was uns vom Sein abhält. Lassen wir los, rücken wir von selbst zurück und erfahren wieder Führung.
Nachdem wir das Kloster umrundet hatten, schritten wir auf unseren Spuren zurück. Sie waren schon von vielen Schritten überzeichnet, doch ab und an, erkannten wir sie wieder. So sahen wir neben unserem Weg viele Wege auf dem einen Weg.
Heute gingen wir wieder denselben Weg. Die Sonne hatte inzwischen den Schnee wegeleckt. Unsere Spuren hielten nur kurz im feuchten Boden. Es war, obgleich der selbige, ein anderer Weg als zuletzt. – Der Weg setzt sich fort …