Blickt man zurzeit in den Nachthimmel sieht man den Mond in etwa auf der Bahn, die die Sonne im Sommer beschreibt (großer Tagbogen); dagegen läuft die Sonne auf der sommerlichen Mondbahn (kleiner Tagbogen). Da die Mondscheibe in ihrer Größe in etwa der Sonnenscheibe entspricht, ist zumindest der volle Mond ein ihr entsprechendes Licht in der Dunkelheit. Diese Beobachtung fand wie so viele Himmelsbeobachtungen schon vor vielen Jahrtausenden Eingang in unsere Religionen. Als einander metaphysisch gleichwertige Gestirne verkörpert seitdem die Sonne das männliche und der Mond das weibliche Prinzip. Im Christentum vertritt die Jungfrau Maria die einstige Mondgöttin. Im auferstandenen Christus mag man die alte Sonnengottheit erkennen.
Jedenfalls sahen unsere Ahnen in der gleichen Größe von Sonne- und Mondscheibe keinen Zufall, sondern ein göttliches Zeichen. Auch heute sind viele Wissenschaftler der Ansicht, dass es ohne den Mond zu keinem Leben auf der Erde gekommen wäre. Dementsprechend meinen etliche unter ihnen, dass das Leben auf der Erde einzigartig sei und folglich, wenn schon kein Schöpfer zumindest ein einmaliger Zufall dafür verantwortlich wäre. – Indes ist es für jeden, der tagtäglich die Schöpfung erlebt, gleichgültig, ob zuerst die Henne oder das Ei da waren, und ob sich das gleiche Spiel irgendwo in den Weiten des Alls wiederholt oder nicht. Das augenblicklich gelebte Dasein ist ein einzigartiger Schöpfungsakt. Und wer diesem Augenblick gewahr ist, hat Teilhabe an der Schöpfung in ihrer vollkommenen Schönheit; durch seine Achtsamkeit ist er Geschöpf und Schöpfer zugleich.
Im Jahre 7 v. Chr., dem wahrscheinlichen Geburtsjahr Jesus von Nazareth, gab es zwar mit der dreimaligen Konjunktion von Jupiter und Saturn eine auffällige Himmelskonstellation, ob sie damals allerdings wirklich so beachtlich war, wie wir sie heute deuten, ist ungewiss. Es ist aus dieser Zeit keine Aufzeichnung auf uns gekommen, die diese Konstellation in irgendeiner Weise würdigt. Gleichwohl feiern wir mit dem Fest der Heiligen Drei Könige, die Bezeugung der Geburt des Heilands durch die Weisen aus dem Morgenland. Der Legende nach hatten sie die Sterne so gedeutet, dass ein gottgleicher Mensch geboren worden war. Sie reisten zu ihm und huldigten ihm. Ihre Huldigung manifestierte die Zufälligkeit, denn von diesem Moment an war der Knabe Jesus kein gewöhnliches Kind mehr. – Auch dies war ein Schöpfungsakt!
Zweifelsohne ist das Fest der Heiligen Drei Könige ein Lichtfest. Licht ist eine immer wiederkehrende Metapher für die göttliche Gegenwart. Licht hebt die Dunkelheit auf. Es stiftet Erkenntnis, weswegen wir auch von Erleuchtung sprechen, wenn in einem der Geist „erwacht“ ist. Auch diese in der spirituellen Szene gebräuchliche Redewendung, meint letztlich eine göttliche Verkörperung im Menschen. Gilt doch gemeinhin ein Erleuchteter als ein Mensch, der seine Person aufgab, indem er seine Maske beiseitelegte und fortan von seinem „Ego“ befreit ist. Auch diese Menschen erscheinen manchem anderen als ungewöhnlich. Ob hierdurch allerdings mehr Licht in die Welt gelangt, mag man zurecht bezweifeln.
Erkenntnis ist erfreulich. Licht ist angenehm. Im Licht der Erkenntnis erscheint uns die Welt weiter als zuvor. Allerdings ist solches Licht unerheblich, solange es nicht in uns scheint. Doch wollen wir solches Licht überhaupt, dass uns zu Ungewöhnlichen macht, uns heraushebt und uns zu Stars, zu Halbgöttern macht? Wenn ja, dann sind wir am Ende zwar beleuchtet, doch nicht wirklich erleuchtet.
Göttliches Licht ist Schöpfung. Es ist die jeden Morgen neu geborene Sonne. Schöpfung ist der Augenblick, in dem wir gewahr sind – nicht der Augenblick danach und nicht der davor. Sie wird durch keine Himmelskonstellation bedingt. Machen wir uns frei von derlei Gedanken. Öffnen wir uns, wie wir den Sternsingern unsere Türe öffnen, die dem Brauch folgend heute vor unserem Haus singen und die Cabame[1] an den Türstock zeichnen. Öffnen wir uns und werden dabei ganz gewöhnlich, werden wir zu dem, was wir ohnehin sind, ein Mensch unter Menschen, ein Teil der wunderbaren Schöpfung für diesen einzigartigen Augenblick. So gewöhnlich geworden sind wir frei, damit das himmlische Licht in uns fallen kann. Wir sind offen, es mag uns leuchten. Dieses wenige ist das ganze Geheimnis der Erscheinung …
[1] Cabame ist die Bezeichnung für die drei Buchstaben C+M+B, samt Jahreszahl, die am 6. Januar mit geweihter Kreide an die Haustüre geschrieben werden. Sie stehen für die Namen der Heiligen Drei Könige: Caspar, Melchior und Balthasar. Nach jüngerer volkstümlicher Katechese stehen sie für den Segen: Christus mansionem benedicat (Christus segne dieses Haus).